Digitale Barrierefreiheit oder „digital accessibility“ beschreibt die uneingeschränkte Zugänglichkeit von digitalen Plattformen und Services wie Webseiten, Onlineshops und Apps. Accessibility im Internet zielt darauf ab, allen Menschen den Zugang zu elektronischen Informationen und Kommunikationstechnologien zu ermöglichen – unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten oder Einschränkungen. Grundgedanke ist, Barrieren im Internet für Personen mit Behinderungen abzubauen und sicherzustellen, dass digitale Anwendungen auch mit entsprechenden Hilfsmitteln nutzbar sind.
Nahezu alle Bereiche unseres Lebens verlagern sich zunehmend ins Digitale. Der barrierefreie Zugang zu Web-Inhalten und Services ist ein wichtiger Beitrag für digitale Teilhabe und Inklusion. Neben den moralischen und ethischen Aspekten ist Accessibility auch aus rechtlicher Sicht von Bedeutung und in gesetzlichen Richtlinien verankert – als Menschenrecht, von dem niemand ausgeschlossen werden darf.
Für wen ist digitale Barrierefreiheit?
Auch wenn Accessibility in erster Linie auf Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung abzielt, bietet es Vorteile für weit mehr Nutzergruppen, z. B.
Eine barrierefreie Gestaltung geht Hand in Hand mit optimaler Benutzerfreundlichkeit (Usability), von der alle Anwender*innen profitieren: Eine Plattform, auf der sich jede*r einfach zurechtfindet und problemlos die gewünschten Funktionen und Informationen nutzen kann, bereichert das Online-Erlebnis für alle.
Sowohl auf internationalen als auch europäischen und nationalen Ebenen haben Gesetzgeber und Institutionen konkrete Richtlinien zu digitaler Barrierefreiheit formuliert. In der EU sind öffentliche Auftraggeber bereits seit September 2020 dazu verpflichtet, ihre Webseiten und Apps barrierefrei zu gestalten. Diese Pflicht besteht mit Inkrafttreten des European Accessibility Acts (EAA) ab Juni 2025 auch für einen Großteil privater Unternehmen in der EU. Nachfolgend eine Übersicht der wichtigsten Rechtsgrundlagen und Richtlinien zu digitaler Barrierefreiheit:
WCAG: Web Content Accessibility Guidelines
Mit den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) hat das World Wide Web Consortium (W3C) eine Vorlage für digitale Barrierefreiheit im Internet definiert. Dieser international anerkannte Standard unterteilt sich in vier Prinzipien (Anforderungskriterien) und umfasst in der aktuellen Version (WCAG 2.2) mehr als 85 Empfehlungen (Erfolgskriterien) für die Erstellung barrierefreier Webinhalte. Den Grad der erfolgreichen Umsetzung geben drei Barrierefreiheitsstufen an: A (niedrigste Stufe), AA und AAA (höchste Stufe).
Die vier Prinzipien der WCAG sind:
EAA: European Accessibility Act
In den EU-Ländern ist der European Accessibility Act (EAA) die gesetzlich verpflichtende Basis für digitale Barrierefreiheit. Der EAA gilt ab dem 28. Juni 2025 für private Unternehmen, die mehr als zehn Mitarbeitende beschäftigen und über zwei Millionen Euro Jahresumsatz erzielen. Die Richtlinie verpflichtet diese Unternehmen, Online-Angebote und Services für Endverbraucher*innen (B2C) barrierefrei zu gestalten. Auch die Schweiz wird die neuen Regelungen in ihre Bundesgesetze aufnehmen.
BFSG: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
In Deutschland verpflichtet das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) Unternehmen zur Umsetzung des EAA. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bezieht sich auf die Prinzipien der WCAG und gilt ebenfalls ab dem 28. Juni 2025.
BITV: Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung
Anwendung findet der EAA durch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV), die auf der europäischen Norm EN 301 549 basiert. Die Verordnung enthält spezifische Vorgaben zur Umsetzung digitaler Barrierefreiheit und umfasst ergänzend zu den WCAG weitere 30 Kriterien.
BGG: Behindertengleichstellungsgesetz
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) soll die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft gewährleisten, gilt allerdings ausschließlich für staatliche Institutionen.
EN 301 549
Die Europäische Norm 301 549 mit dem Titel „Accessibility requirements for ICT products and services“ definiert Anforderungen an die Barrierefreiheit der Informations- und Kommunikationstechnik des öffentlichen Sektors und gilt als verbindlicher Standard. Die EN spezifiziert die Bedeutung der WCAG-Prinzipien und erweitert diese um weitere Kriterien, z. B. zu Barrierefreiheits-Funktionen, Support und Kommunikation.
Die Einhaltung der WCAG allein stellt noch nicht sicher, dass Web-Inhalte EAA-konform barrierefrei sind. Dennoch liefern die WCAG eine Grundlage für die barrierefreie Gestaltung, weshalb es sich empfiehlt, sich genauer mit den Prinzipien und Anforderungskriterien auseinanderzusetzen.
WCAG-Prinzip #1: Wahrnehmbarkeit
Dieses Prinzip ist vor allem für Menschen mit visuellen, auditiven und kognitiven Einschränkungen relevant (z. B. bei Seh-, Hör- oder Konzentrationsschwäche). Anforderung ist, Inhalte so darzustellen, dass diese für alle Nutzer*innen erkennbar sind. Um das zu erreichen, müssen Informationen über mehrere Sinne wahrnehmbar sein, u. a. durch:
WCAG-Prinzip #2: Bedienbarkeit
Die Benutzeroberfläche (User Interface, UI) muss so gestaltet sein, dass alle Anwender*innen problemlos mit den Inhalten und Bedienelementen (z. B. Formulare, Schaltflächen) interagieren und gewünschte Informationen erreichen können. Das Prinzip rückt die Usability in den Fokus und hilft insbesondere Menschen mit kognitiven oder motorischen Einschränkungen. Die Umsetzung erfolgt u. a. durch:
WCAG-Prinzip #3: Verständlichkeit
Damit Anwender*innen jederzeit verstehen, wo sie sich auf einer Seite befinden, welche Optionen sie haben und wohin sie navigieren, müssen Informationen und die Bedienung durchgehend klar und nachvollziehbar sein. Diese Anforderung geht auch mit guter Lesbarkeit einher und erleichtert die Nutzung u. a. für Personen mit kognitiven Einschränkungen, für Nicht-Muttersprachler*innen sowie Fachfremde, u. a. durch:
WCAG-Prinzip #4: Robustheit
Dieses Prinzip fokussiert technologische Anforderungen, genauer die browser- und plattformübergreifende Kompatibilität. Inhalte müssen durch eine Vielzahl von Benutzeragenten und Hilfstechnologien (Webbrowser, Screenreader, assistive Technologien) korrekt gelesen und interpretiert werden können. Die Umsetzung erfolgt u. a. durch:
Wer die Richtlinien umsetzen möchte, merkt schnell, dass digitale Barrierefreiheit über einzelne Fach- und Kompetenzbereiche hinausgeht. Insbesondere die EAA-konforme barrierefreie Gestaltung umfasst einen ganzheitlichen Entwicklungsprozess, der sowohl technische und gestalterische als auch redaktionelle und kommunikative Aspekte umklammert. Für die systemische und ganzheitliche Integration spielen u. a. folgende Aufgabenbereiche zusammen:
UX- & UI-Design
Für die barrierefreie Gestaltung sollten Design-Teams u. a. folgende Aspekte berücksichtigen:
Programmierung
Ein semantisch hochwertiges HTML ist Basis für valide Codes, barrierefreie Features und eine logische Seitenstruktur. Was das IT-Team u. a. sicherstellen muss:
Content-Erstellung
Barrierefreie Informationen sind nicht nur verständlicher, sondern auch ein Plus für SEO und die Auffindbarkeit im Netz. Aufgaben von Content Creator*innen bei der Erstellung barrierefreier Inhalte sind:
Workflow-Optimierung
Neben einer initialen Analyse des Barrierefreiheitsgrades und der Implementierung entsprechender Features erfordert die langfristige Einhaltung von Accessibility-Richtlinien grundlegendes Verständnis für den Mehrwert digitaler Barrierefreiheit sowie langfristige Maßnahmen, um Zugangs- und Nutzungshürden dauerhaft abzubauen. Dazu gehören:
In der Praxis werden manuelle und automatisierte Testverfahren kombiniert, weil automatisierte Tools nicht alle Issues identifizieren können. Manuelle Bedienbarkeits-Tests sollten durch geschulte Entwickler*innen sowie Anwender*innen durchgeführt werden. Ein initialer Quick Check kann einen Überblick über vorhandene Schwachstellen und Barrieren bieten. Bei einem ganzheitlichen Accessibility Audit können neben der Einhaltung aller Compliance-Standards weitere Optimierungspotenziale hinsichtlich der Barrierefreiheit und Benutzerfreundlichkeit aufgedeckt werden. Darüber hinaus kann ein umfassendes CX-Monitoring detailliert Aufschluss über das Barrierefreiheitslevel, die Usability und Performance einer Plattform geben.
Die Web Accessibility Initiative (WAI), ein Bereich innerhalb des W3C, hat eine Liste mit Tools und Online-Diensten zur Verfügung gestellt. Diese können in Teilbereichen für die Umsetzung digitaler Barrierefreiheit hilfreich sein, etwa bei Entwicklungsprozessen, ersten Einschätzungen und beim Allgemeinverständnis für die Barrierefreiheit einer Plattform.
Achtung: Diese automatisierten, standardisierten Testing-Tools fokussieren sich überwiegend auf die WCAG und einzelne Kriterien zum Erreichen der Barrierefreiheitsstandards. Sie gewährleisten keine vollständige und EAA-konforme Umsetzung.
Allein in Deutschland leben rund 7,9 Millionen schwerbehinderte Menschen. Durch eine barrierefreie digitale Gestaltung stellen Unternehmen sicher, dass diese Menschen ihre Marke, Produkte und Dienstleistungen wahrnehmen, verstehen und in Anspruch nehmen können. Diese potenziellen Kund*innen durch inklusive digitale Angebote einzuschließen, ist aus geschäftlicher Sicht ein Plus für die Marktreichweite. Darüber hinaus bietet eine barrierefreie Web-Präsenz weitere Vorteile und Business-Potenziale für Unternehmen:
Im alltäglichen Umgang mit digitalen Angeboten wird Accessibility zunehmend zum Standard und Qualitätsmerkmal von Web-Auftritten. Auch wenn Gesetze und Richtlinien bislang nur B2C-Unternehmen und staatliche Stellen verpflichten, wird digitale Barrierefreiheit auch im B2B-Kontext zum Erfolgs- und Wettbewerbsfaktor. Denn was Nutzer*innen im Privaten kennenlernen und schätzen, erwarten sie auch im Geschäftlichen und in ihrer Arbeitswelt. Die steigende Bedeutung digitaler Barrierefreiheit ist somit mehr als eine Reaktion auf rechtliche Vorgaben.
Spezialisierte Dienstleister bieten entsprechende Beratung und begleiten bei Bedarf den gesamten Entwicklungsprozess – vom initialen Quick Check oder umfassenden Accessibility Audit bis hin zur Umsetzung geltender Barrierefreiheitsstandards, Schulungen und der langfristigen Workflow-Optimierung. Basierend auf Erfahrungen von Betroffenen sowie den gesetzlichen Richtlinien betrachten geschulte und zertifizierte Expert*innen das ganzheitliche Potenzial für das Online-Geschäft. Bei den ersten Schritten zu digitaler Barrierefreiheit können Content-Angebote wie Praxisleitfäden, Checklisten und Webinare hilfreich sein. valantic stellt für diese Zwecke praxisnahe Inhalte zur Verfügung: