Bitkom-Report: Verliert Deutschland bei der Digitalisierung den Anschluss?

Deutsche Unternehmen sehen in neuen Technologien ein riesiges Potenzial, zögern aber bei der Umsetzung. Das größte Hemmnis: zu viele Vorschriften.

22. Juni 2023

5 Min. Lesezeit

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KEY FACTS

ChatGPT sorgt in drei Viertel der Unternehmen für Diskussionen

72 Prozent sprechen KI große Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit zu, aber nur
15 Prozent setzen KI auch ein

Eine knappe Mehrheit der Unternehmen will ihre Digital-Investitionen erhöhen

77 Prozent der Unternehmen fühlen sich durch zu strenge Datenschutz-Regularien behindert

In Deutschlands Unternehmen wachse die Sorge, den Anschluss an die digitalen Wettbewerber zu verlieren.  Eine deutliche Mehrheit (60 Prozent) der Unternehmen sehe aktuell Wettbewerber im Vorteil, die frühzeitig auf die Digitalisierung gesetzt hätten. Das sei ein Spitzenwert, schreibt der Digitalverband BitKom in einer Pressemitteilung und beruft sich auf eine repräsentative Umfrage unter 602 Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten. Fast noch besorgniserregender: Das eigene Unternehmen halten derzeit zwei Drittel (64 Prozent) für einen Nachzügler bei der Digitalisierung, nur ein Drittel (35 Prozent) sieht sich als Vorreiter.

Digitalisierte Unternehmen sind im Vorteil laut Bitkom-Umfrage 2023

87 Prozent der deutschen Unternehmen sind überzeugt, dass die Nutzung digitaler Technologien eine entscheidende Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft spielt, zugleich beklagen 76 Prozent, dass deutsche Unternehmen digitale Technologien zu wenig einsetzen. Das zeigt sich auch beim aktuellen Top-Thema Künstliche Intelligenz. Rund drei Viertel (72 Prozent) gehen davon aus, dass KI eine große Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hat, aber nur 15 Prozent nutzen KI im eigenen Unternehmen. Wie passt das eigentlich zusammen?

So groß die Einigkeit bei der Einschätzung der Digitalisierung insgesamt auch ist, so weit gehen die Meinungen bei Künstlicher Intelligenz auseinander. 54 Prozent sind sich sicher, dass KI die Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändern wird, aber 44 Prozent sind skeptisch. 49 Prozent gehen davon aus, dass Unternehmen, die KI frühzeitig einsetzen, dadurch einen Wettbewerbsvorteil gewinnen – 44 Prozent sehen dies zumindest in naher Zukunft nicht. 

Zu viele Unternehmen wollen KI-Einsatz auf die lange Bank schieben

Unternehmen, die bislang keine KI verwenden, wollen daran so schnell auch nichts ändern. 16 Prozent meinen, dass KI für sie nie relevant sein wird, 25 Prozent gehen davon aus, KI erst in mehr als 20 Jahren einzusetzen, 29 Prozent erwarten den Einsatz in einer eher fernen Zukunft in 10 bis 20 Jahren. Im kommenden Jahr will dagegen nur 1 Prozent KI einführen, 3 Prozent in 1 bis 2 Jahren, 11 Prozent in 2 bis 3 Jahren und 3 Prozent in 3 bis 5 Jahren. 8 Prozent erwarten dies in 5 bis 10 Jahren. Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst ist das zu zögerlich: „Das Bild von KI sollte sich in den kommenden Monaten verändern. KI kann einen enormen Innovations- und Effizienzschub auslösen. Je mehr KI-Anwendungen auf den Markt kommen, desto mehr Unternehmen sollten und – das ist meine Hoffnung – werden sie sich zu Nutze machen“.

Dabei ist KI nicht die einzige Technologie, bei der es eine Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen Bedeutung für die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit und dem Einsatz im eigenen Unternehmen gibt. So sprechen 92 Prozent der Unternehmen Datenanalysen und Big Data eine große Bedeutung zu, aber nur 39 Prozent setzen sie ein. Robotik halten 86 Prozent für bedeutsam, doch nur 40 Prozent nutzen die Technologie. Ähnlich sieht es aus beim Internet of Things (84 Prozent große Bedeutung, 36 Prozent Einsatz), 5G (82 Prozent zu 23 Prozent), autonomen Fahrzeugen (76 Prozent zu 17 Prozent), 3D-Druck (74 Prozent zu 23 Prozent) sowie Virtual und Augmented Reality (67 Prozent zu 24 Prozent).

Und bei neueren Technologien ist der Gap zwischen Theorie und Praxis noch viel größer: So nutzen gerade einmal 4 Prozent Blockchain-Technologie, obwohl ihr 67 Prozent eine große Bedeutung zusprechen. Und praktisch kein Unternehmen setzt Metaverse-Technologien selbst ein (1 Prozent), obwohl immerhin 36 Prozent ihnen eine große Bedeutung zuschreiben. „Wir müssen Deutschland in der digitalen Wirtschaft herausragend gut positionieren. Wir brauchen mehr Mut zum Digitalen, auch in den Unternehmen“, so Wintergerst.

Die Unternehmen spielen den Ball zurück und sehen Hindernisse für den Einsatz neuer Technologien nicht nur bei sich selbst, sondern ebenso in der Politik und in der Gesellschaft. So hat sich in 54 Prozent der Unternehmen der Eindruck verfestigt, dass die Politik versuche, den Einsatz digitaler Technologien eher zu verhindern als zu fördern. 52 Prozent meinen, dass die deutsche Bevölkerung bei neuen Technologien zunächst immer skeptisch sei. Und 46 Prozent erleben, dass im eigenen Unternehmen eher über Risiken digitaler Technologien als über Chancen diskutiert wird.

Unternehmen: Datenschutz-Regularien behindern Innovation

Das größte Digitalisierungs-Hemmnisse ist aus Unternehmenssicht der Datenschutz, von dem sich 77 Prozent bei der digitalen Transformation behindert fühlen. Vor einem Jahr waren es 71 Prozent. Auch der Fachkräftemangel (64 Prozent; 2022: 55 Prozent) verschärft sich weiter. Dahinter folgen gleichauf mit je 54 Prozent die Anforderungen an technische IT-Sicherheit, fehlende Zeit und fehlende finanzielle Mittel – wobei knappe Mittel deutlich häufiger als Grund genannt werden als noch 2022 mit 43 Prozent. Ein Drittel (32 Prozent) beklagt langwierige interne Entscheidungsprozesse (2022: 24 Prozent).

Kein verbreitetes Hemmnis sind dagegen eine mangelnde Bereitschaft der Belegschaft (12 Prozent) sowie Unsicherheiten über den wirtschaftlichen Nutzen der Digitalisierung (5 Prozent). „Ich wünsche mir mehr Deutschland-Tempo nicht nur bei der Digitalisierung der Verwaltungen, sondern auch bei der Digitalisierung der Unternehmen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie schnell wir in Deutschland handeln können, wenn eine Krise es erfordert. Wir können Tempo, jetzt wollen wir zeigen, dass das auch für die Digitalisierung gilt“, so Wintergerst.