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Digitale Barrierefreiheit: Was bringt die neue EU-Regulierung?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) setzt Maßstäbe für digitale Teilhabe. Es verpflichtet Unternehmen ab 28. Juni, Produkte, Websites und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten.

22. Januar 2025

5 Min. Lesezeit

Eine Frau im Rollstuhl sitzt in einem Café vor ihrem Laptop und prüft, ob ihr Onlineshop barrierefrei ist.

Die letzten EU-Regulierungen wie NIS2 und Dora sind bewältigt, da steht schon die nächste auf dem Programm: das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Es tritt am 28. Juni 2025 in Kraft und setzt die europäische Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, EAA) in deutsches Recht um. Noch mehr Bürokratie, noch mehr Änderungen an Produkten, Anwendungen und Websites? Was kommt auf die Unternehmen zu?

Barrierefreiheit ist kein Larifari-Thema, sondern mindestens seit den 1970er Jahren in der Diskussion. Grundsätzlich geht es darum, für behinderte Menschen einen ungestörten Zugang zu Gebäuden, Informationen, Produkten oder Dienstleistungen zu schaffen. Die Mittel dafür sind zum Beispiel Rampen statt Treppen, Texte in leichter Sprache oder Websites, die Screenreader für Sehbehinderte unterstützen.

Barrierefreiheit – das sagt das Gesetz

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz nimmt die Teilhabe an der Digitalisierung in den Blick, etwa bei Bank- und Fahrkartenautomaten, Websites oder Apps. Deshalb verpflichtet es Unternehmen dazu, bestimmte Standards der Barrierefreiheit einzuhalten. Eine genaue Liste der betroffenen Produkt- und Servicegattungen findet sich im BSFG.

Tastatur mit einer blauen Taste mit einem Symbol mit Fahrstuhl drauf

Es gilt für alle Unternehmen, mit einer Ausnahme: Kleinunternehmen mit höchstens zehn Mitarbeitern und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von maximal zwei Millionen Euro sind teilweise davon ausgenommen. Allerdings dürfen sie nur Services erbringen und keine Produkte verkaufen. Auf einfache Beispiele heruntergebrochen: Ein kleines Ingenieurbüro ist vom BFSG ausgenommen, ein kleines Ladengeschäft jedoch nicht.

Bei Verstößen gegen das Gesetz drohen Unternehmen Bußgelder bis 100.000 Euro. Darüber hinaus können die zuständigen Landesbehörden zur Marktüberwachung zusätzliche Maßnahmen ergreifen, etwa Rücknahmen oder Rückrufe anordnen und den Verkauf einschränken oder ganz verbieten. Zudem besitzen Verbraucher ein Beschwerderecht und können auf diese Weise die Behörden auf Verstöße aufmerksam machen.

Der Weg zur digitalen Barrierefreiheit

Die aktuelle Rechtslage ist ein guter Grund für Unternehmen, sich mit den Anforderungen der Barrierefreiheit zu beschäftigen. Es gibt eine Reihe von etablierten Standards, die bei der Umsetzung helfen, etwa die EU-Webrichtlinie (EN 301 549) oder die „Web Content Accessibility Guidelines“ (WCAG). Sie erfüllen die Vorgaben des BFSG, Inhalte wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust zu gestalten.

Dieses Verständnis der Barrierefreiheit fängt bei der Entwicklung an. Mit inklusivem Design gestalten Unternehmen Produkte oder Websites von Anfang an so, dass sie für alle Benutzergruppen zugänglich sind. Beispielsweise sollten Navigationsstrukturen klar und konsistent sein oder Formulare intuitive Fehlermeldungen enthalten.

Der Einsatz von sauber codiertem, semantischem HTML ermöglicht es Screenreadern, Inhalte besser zu interpretieren. Zudem müssen alle interaktiven Elemente auch über die Tastatur zugänglich sein. Für Benutzer mit Sehbehinderungen sind zusätzliche, einstellbare Farben mit hohem Kontrast wichtig. Sie machen visuelle Elemente besser sichtbar. Bilder, Videos und interaktive Grafiken benötigen für solche Nutzer Alternativtexte mit einer Erklärung des Inhalts. Bei Videos sind Untertitel und Audiobeschreibungen eine Verständnishilfe.

Barrierefreiheit scheint also auf den ersten Blick leicht erreichbar zu sein: Einfach die Website oder die eigenen Apps und Anwendungen entsprechend überarbeiten. Doch zunächst müssen sämtliche internen Mitarbeiter auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Wer keine Erfahrung mit behinderten Menschen hat, dem fehlt vielfach der Blick für die besonderen Herausforderungen dieser Personen. Deshalb ist es sinnvoll, Designern und Entwicklern in einer Schulung die Prinzipien der Barrierefreiheit zu vermitteln.

Ein weiterer Punkt: Barrierefreiheit muss überprüft werden. Entscheidend sind dafür Tests mit Menschen, die verschiedene Arten von Behinderungen haben. Durch praxisnahe Prüfungen erhalten die Unternehmen wertvolle Einblicke und können potenzielle Probleme früh identifizieren. Für Websites und Anwendungen gibt es einige Tools für automatisierte Tests, beispielsweise WAVE oder Lighthouse. Sie erkennen die typischen Probleme beim Erreichen von Barrierefreiheit und schlagen praktikable Lösungen vor.

Inhalte für alle verständlich machen

Ein wichtiger Aspekt bei Barrierefreiheit ist auch die Verständlichkeit der Inhalte. Deshalb sieht das BFSG vor, dass Texte und andere Medieninhalte klar und unmissverständlich abgefasst sein sollen. Dazu gehört zum Beispiel der Verzicht auf überflüssige Fremdwörter. Besonders wichtig: Fachbegriffe müssen erklärt werden. Anderenfalls sollten die Autoren darauf verzichten.

Eine hilfreiche Möglichkeit für größere Unternehmen besteht darin, eine Parallel-Website in leicht verständlicher oder einfacher Sprache einzurichten. Leicht verständliche Sprache richtet sich an Menschen mit kognitiven Problemen. Sie verwendet kurze Hauptsätze, einfache Worte und klare Aussagen. Texte müssen dafür meist neu geschrieben werden, was zu einem Kostenfaktor werden kann. Weniger aufwendig ist die sogenannte einfache Sprache, die sich in erster Linie an Nicht-Muttersprachler und Menschen mit Leseschwäche richtet. Ihre Regeln erlauben etwas längere Satzstrukturen sowie einen moderaten Einsatz von Fachwörtern, sofern diese erklärt werden.

Der manuelle Aufwand für Redaktion kann mit KI-Sprachmodellen gesenkt werden. Sie helfen bei der automatischen „Konvertierung“ von Inhalten in einfache Sprache. Einige Medienangebote nutzen diese Technologie bereits – mit gemischtem Erfolg. Die besten Ergebnisse liefern bislang selbst trainierte Open-Source-Modelle, die aber als Trainingsmaterial einen Fundus an hochwertigen Texte in einfacher Sprache benötigen.

Llaut BFSG ist leichte oder einfache Sprache nicht verpflichtend. Denn barrierefreie Inhalte sind eine große Herausforderung, vor allem für Technologie- und Industrieunternehmen. Ihre Inhalte erfordern oft ein spezielles Fachwissen, dass sich in leichter oder einfacher Sprache nicht gut abbilden lässt.

Das Ziel des BSFG ist im digitalen Raum jedoch relativ schnell zu erreichen – müssen doch nur Anwendungen und Websites und nicht Gebäude oder Gelände umgebaut werden. Für Unternehmen ist es deshalb ratsam, sich spätestens jetzt mit dem Thema zu beschäftigen.